On the road

Veröffentlicht am 12.03.2015.

“Der Straßenverkehr in Sierra Leone ist doch sehr gefährlich, wahrscheinlich sehr viel gefährlicher als Ebola. Würde dich die Möglichkeit, in einen Unfall verwickelt zu werden, davon abhalten nach Sierra Leone zu gehen?” Diese Frage stellte mir meine Tante vor wenigen Monaten, als ich mich entscheiden musste, ob ich das Ende des Ebolaausbruchs abwarten oder schon, wie ich es nun getan habe, im Februar anreisen wollte. Mit einem überzeugten “Nein” habe ich damals geantwortet.

In der letzten Woche fiel mir ihre Frage wieder ein - als ich das Wrack eines kleinen, brüchigen LKW sah, der kurz vor unserer Ankunft verunglückt war. Auf der Ladefläche hatten 16 Kühe, zwei Ziegen, Hühner und, dazwischengequetscht, drei Mütter mit ihren Kindern gestanden. Dass keiner der Menschen auf der holprigen Fahrt zerquetscht worden war, ist schon erstaunlich. Dass sie den Achsenbruch und das Umkippen des LKW ohne größere Verletzungen überstanden haben, ist unbegreiflich. Nur zwei Kühe, die Ziegen und die Hühner mussten dran glauben.

Häufig bin ich in den letzten Jahren in Sierra Leone an Unfallstellen vorbeigekommen; in einer für mich brenzligen Situation war ich noch nie, doch erschreckt habe ich mich schon so manches Mal, wenn Fahrer völlig unvermittelt aus- und wieder eingeschert sind, wenn völlig überladene Fahrzeuge bedenklich auf beiden Fahrbahnen der Straße umherschlingerten, wenn Motorradfahrer ohne Helm und Schutzkleidung mit überhöhter Geschwindigkeit über Schlaglochpisten flogen, wenn mir im Dunklen Fahrzeuge ohne jegliche Beleuchtung entgegenkamen.

Warum sind die Frauen überhaupt auf den Laster gestiegen, warum haben sie sich und ihren Kindern diese Gefahr zugemutet? Wieso fahren diese alten, bruchreifen Fahrzeuge überhaupt noch auf den Straßen und welche Ausbildung haben die Fahrer?

Dass die Sierra Leoner ein anderes Gefahrenbewusstsein haben als ich, ist mir schon viele Male aufgefallen. Vieles ist Gewohnheit und es gibt kaum Ausweichmöglichkeiten, man kennt hier keine anderen Fahrzeuge, vor allem unter den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht. Eine Wegwerfgesellschaft, wie sie sich bei uns in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, gibt es in Sierra Leone nicht. Man repariert und improvisiert so lange, bis etwas zu Staub zerfällt. Fahrzeuge ohne Innenverkleidung sind normal, dass die Anzeigen im Cockpit funktionieren, ist extrem selten – Hauptsache, es fährt noch und bremsen kann man zur Not auch noch beim nächsten Anstieg. Man hofft, dass es doch irgendwie immer gut geht.

Vor allem in ländlichen Gegenden gibt es zu wenige und keine regelmäßigen Transportmöglichkeiten. Die Frauen auf dem Viehtransporter hatten schon mehrere Tage darauf gewartet, endlich in ihr Dorf zurückkehren zu können. Die Gelegenheit einer günstigen Mitfahrt alternativ zu einem langen Marsch in der Hitze ließen sie sich nicht entgehen. Persönlicher (Frei)Raum wird hier kulturell ohnehin nicht so beansprucht wie in Europa und es ist absolut normal, auf engem Raum zusammengequetscht zu werden und jeden Quadratzentimeter Raum in einem Fahrzeug auszunutzen, was dann zwangsläufig zu Ãœberladungen führt.

In den letzten Tagen habe ich fünfzehn meiner sierra leonischen Kollegen befragt, ob und wie sie Autofahren gelernt haben, zwei Frauen und 13 Männer. Die beiden Frauen haben noch nie hinterm Steuer gesessen, insgesamt sieht man in Sierra Leone kaum Autofahrende Frauen. Von den Männern hat nur einer eine Fahrschule besucht und eine Fahrprüfung abgelegt. Alle anderen sind einfach irgendwann losgefahren, so schwierig könne es ja nicht sein. Um einen offiziellen Führerschein zu bekommen, muss man dann doch eine Prüfung ablegen. Eigentlich. „Du musst nur einen kleinen Fehler machen und schon lassen sie dich durchfallen. Niemand schafft es beim ersten Mal, weil sie dich die schwierigsten Aufgaben fahren lassen“, erklärt mir mein Kollege Amidu. Wie er denn seinen Führerschein bekommen habe, frage ich. Nach einer langen Pause und einem Lachen sagt er, er habe jemanden in der Behörde gekannt. An einem Samstag habe sie ihm seinen Führerschein ausgestellt. Ein andere Möglichkeit sei es, den Beamten „Etwas“ zu geben. Wie viel „Etwas“ denn sei, will ich wissen. Eine andere Antwort als ein halb unterdrücktes Lachen bekomme ich nicht. Wahrscheinlich liegt der Preis knapp über einer doppelten Prüfungsgebühr – und damit lohnt es sich auf lange Dauer doch, einen Führerschein zu haben, denn die Verkehrspolizei kontrolliert viel und nimmt gerne ein, vor allem, wenn es einen berechtigten Grund gibt.

Um die Verkehrssicherheit in Zeiten der Ebolaepidemie noch zu verbessern, dürfen in den öffentlichen Verkehrsmitteln keine Sicherheitsgurte mehr angelegt werden und die Motorradfahrer dürfen ihren Passagieren keinen Helm anbieten: Möglicherweise könnte sich das Virus darüber ja noch schneller verbreiten. Sicherheit geht vor – ein absolut unschlagbares Argument.


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Die Geschichte einer gefährlichen Reise

Veröffentlicht am 12.03.2015.