Kommunikation in der Krise: Ebola, Gesagtes und Ungesagtes

Veröffentlicht am 04.05.2015.

„Der gewünschte Teilnehmer befindet sich in einem Bereich ohne Empfang.“ Oft genug höre ich diese Ansage, wenn ich jemanden telefonisch erreichen möchte. Oft genug hören es auch die Leute, die mich erreichen wollen, denn in meinem Job bin ich viel unterwegs und oft fernab der Städte. Kommunikation ist ein großes Problem in Sierra Leone, denn längst nicht jeder hat Zugang zu Informationen und einem Kommunikationsnetz, das über die eigene Dorfgrenze hinausgeht.

Umso erstaunlicher und in diesem Fall erschreckend, wie gut die Kommunikation manchmal funktioniert und wie schnell sich Informationen äußerst effizient verbreiten. Der Ebolaausbruch in Sierra Leone ist ein Exempel für Fehlkommunikation, die nicht mehr zurückgenommen werden konnte, und fehlende Kommunikation, deren Lücke nicht schnell genug mit adäquaten Informationen gefüllt wurde, die vielerseits fatalen Folgen hatten und haben.

Es sind vor allem drei nunmehr ineinander verwobene Missstände, die nach Meinung vieler, die die Epidemie aus der Nähe durch- und miterleben, wesentlich zum Aufschwung der Krankheitsfälle geführt haben und deren Schaden man jetzt versucht zu begrenzen. Denn was einmal im kommunikativen Raum stand beziehungsweise was nicht zum Gegenstand des kommunikativen Raumes gemacht wurde, lässt sich nicht mehr zurücknehmen – das ist eine nicht unbekannte, aber wohl schmerzliche Lektion dieser Krise.

„Es gibt kein Heilmittel gegen Ebola und keine Impfung, die vor einem Ausbruch schützen könnte.“ Das war die einleitende Information, die über die Krankheit verbreitet wurde. Es war auch diese Nachricht, die sich in den internationalen Medien im letzten Jahr massiv verbreitete und zu vielen unbegründeten Ängsten führte. Diese Information sollte in Westafrika vor allem der Abschreckung dienen, dazu führen, dass die Menschen besonders strenge Vorsichtsmaßnahmen einhielten, um eine Ansteckung zu vermeiden. Es stimmt, es gibt keine spezifische Behandlungsmethode, die das Virus angreift und erst seit Kurzem werden im Schnellverfahren entwickelte Impfstoffe an medizinischen Helfern getestet. Dennoch kann man die Symptome behandeln und den Körper bestmöglich im Kampf gegen die Infektion unterstützen – und dabei gilt es, je früher, desto höher die Ãœberlebenschancen.

Doch anstatt damit die Ohren der Menschen für die nachfolgenden Informationen zu öffnen, erreichte man das Gegenteil. Wieso sollte man sich in die Behandlung von oft fremden Menschen in seltsamer Kleidung begeben, deren Methoden man ohnehin skeptisch gegenüber steht, wenn es doch keine Behandlung gibt, fragten sich viele. Vor allem in den Bevölkerungsschichten mit keiner oder nur geringer Schulbildung, die stark vertreten im Land ist, versteckte man fortan die Kranken und entschied sich für die einzig verbleibende Alternative: die traditionellen Heiler, die Kranke nach überliefertem Wissen und ausschließlich mit Rohstoffen der Natur behandeln. Für viele keine ungewöhnliche Entscheidung, denn die traditionellen Heiler stellen vor allem für die Bewohner von Dörfern den oftmals einzigen und vor allem kostengünstigeren Zugang zu einer Behandlung dar.

Die oft überstürzten, zum Teil unter Zwang vollzogenen Abtransporte von Kranken ohne Verabschiedungen oder Informationen, was mit ihnen passieren würde, förderten die Entfremdung zwischen denen, die schützen wollten und denen, die geschützt werden sollten. Wer hinten im Krankenwagen sitzt, kommt nie wieder mehr zurück – diese Nachricht verbreitete sich in einigen Landesteilen schneller als die Nachricht, dass Ebola eine Krankheit ist. Auch fast ein Jahr nach dem Ausbruch der Epidemie in Sierra Leone und nach der Rückkehr vieler Ãœberlebender sieht man vor allem in ländlichen Gegenden die Menschen noch panisch wegrennen, wenn sie einen Krankenwagen sehen; in den Städten hat man sich mittlerweile an den täglichen Anblick der Ambulanzen gewöhnt.

Was mit denen passierte, die in die Ebola-Behandlungszentren gebracht wurden, darüber gab es wilde Spekulationen – angeheizt durch das Fehlen von Informationen, was wirklich dort passierte. Die Weißen testeten dort neue Medikamente, die sie an den eigenen Leuten nicht ausprobieren wollten, Ebola sei eine Lüge, die Krankheit gäbe es gar nicht, lautete einer der Vorwürfe.
Tatsächlich erfuhren viele Angehörige oft erst nach Wochen, ob ein Familienmitglied überlebt hatte oder nicht. Rund 200 Familien wissen bis heute nicht mit Gewissheit, wo und wie eine geliebte Person der Familie verstorben ist, denn ihr Verbleib ist nirgends dokumentiert. In der Anfangsphase des Ausbruchs war zudem die Sterblichkeitsrate besonders hoch. Es gab nur ein Labor und ein Behandlungszentrum im ganzen Land – beide nur schwerlich und über unwegsame Straßen zu erreichen. Außerdem war die Erstbehandlung in den ordinären Krankenhäusern vielerorts inadäquat und viele der geschwächten Kranken überlebten die Strapazen der Reise nicht. Deshalb gelangten nur wenige Informationen von Betroffenen nach außen. „MSF hat einen großen Fehler gemacht“, sagte Claudia Evers, Koordinatorin der Ebolanotfallhilfe von Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Guinea Anfang dieses Jahres. Die NGO habe sich zu sehr auf die Behandlung konzentriert und zu wenig mit den Menschen über die Krankheit gesprochen. Ein umfassendes Netz an Maßnahmen zu entwickeln, das alle Probleme berücksichtigt, benötigt Zeit und einen guten Ãœberblick über die Gesamtsituation. Zwei Faktoren, an denen es gerade in Krisenzeiten mangelt, wenn man, wie im Falle von Ebola, ausschließlich mit der Bekämpfung von bereits bestehenden Brandherden beschäftigt ist und keine Ressourcen dafür findet, neue Feuer zu vermeiden.

Präsident Koroma ließe gezielt politische Gegenstimmen ausschalten lautete ein anderer Vorwurf. Der Ausbruch nahm seinen Lauf im Osten des Landes, im Gebiet der Mende, einer der beiden größten Stämme des Landes. Wer die Kultur Sierra Leones und das soziale Gefüge verstehen will, kommt nicht an den Stammesstrukturen vorbei. Das Land ist gespalten, man wählt keine politischen Parteien oder Programme, sondern nach Stammeszugehörigkeit. Der amtierende Präsident Ernest B. Koroma gehört dem Stamm der Temne an, dem anderen der zwei dominanten Stämme und ihm wird nahezu immer von der Opposition, die gleichzeitig anderen Stämmen angehört, vorgeworfen, er fördere nur die Belange seines eigenen Stammes. Einige hochrangige Politiker nutzen die rasche Ausbreitung der Epidemie im Osten und Südosten, um Stimmung gegen Koroma und die Notfallhelfer zu machen. Und der Präsident schwieg dazu – mehr als einen Monat nach dem ersten Krankheitsfall äußerte er sich nicht öffentlich zu der Krankheit.

Mittlerweile hat sich vieles verbessert: Es gibt ein Nationales Ebolakommittee, das auch regional in jedem Distrikt vertreten ist und täglich seine Aktivitäten dokumentiert und publiziert. Es gibt groß angelegte Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen, die traditionellen Heiler und andere lokale Meinungsführer werden in Entscheidungsprozesse und in die Nothilfe einbezogen. Es gibt ausreichend Labore und Behandlungszentren, die eine gute und schnelle Behandlung ermöglichen, was die Zahl der Ãœberlebenden signifikant erhöht hat. Angehörige und Freunde können Kranke in den Behandlungszentren besuchen oder per Videoskype mit ihnen kommunizieren. Die Opposition kämpft nun öffentlich an der Seite der Regierung für das Ende der Epidemie. Die Ergebnisse der Schadensbegrenzungsmaßnahmen können sich sehen lassen – im Dezember 2014 sank die Zahl der täglichen Neuinfektionen drastisch und in den letzten Wochen gab es national schon mehrere Nulltage. Doch immer noch werden wöchentlich mehrere neue Fälle bestätigt und so lange es diese noch gibt, besteht potentiell die Gefahr einer erneuten Ausbreitung. Die meisten dieser noch auftretenden Fälle stehen im Zusammenhang mit der Misskommunikation der letzten Monate, eine Erinnerung daran, dass Gesagtes nicht mehr ungesagt werden kann und eine anderweitig ausgefüllte Lücke des Ungesagten nicht mehr unbesetzt ist.

Fehler im Nachhinein anzuprangern hat noch niemanden genutzt, doch dass die sierra leonische Landesführung aus ihnen lernt und in Zukunft eine andere Richtung einschlägt, kann man hoffen. Damit anzufangen hieße zum Beispiel die vielen undurchsichtigen Vorgänge und den Fluss des Geldes während der Epidemie transparent zu machen und offen zu kommunizieren. Auch die internationale Gemeinschaft, die Helfenden und die Medien können viel aus den Erfahrungen des letzten Jahres lernen, zum Beispiel, dass es nicht ausreicht, eine Nachricht zu kommunizieren, sondern dass sie auch verstanden werden muss.


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Überlebt - das Leben nach Ebola

Veröffentlicht am 04.05.2015.